Einwandererboulevard mit einzigartiger Atmosphäre: die Sonnenallee
Omid kann sich noch gut daran erinnern, wie er 2015 als Geflüchteter nach Berlin kam und auf der Suche nach persischen Kochzutaten in der Sonnenallee landete. Es war Ramadan, mitten in einem heißen Sommer. „Bis spät in die Nacht haben alle draußen gesessen, es war eine tolle Stimmung, die mich sehr an den Iran erinnert hat.“ Noch heute fährt er gelegentlich hierher, um Heimatluft zu schnuppern. Für viele Geflüchtete war die so genannte arabische Straße damals ein erster Anlaufpunkt, um Informationen zu bekommen und Kontakte zu knüpfen. Einige von ihnen haben Jahre später hier Restaurants oder Konditoreien eröffnet.
Bescheidener Anfang als Feldweg
Angelegt wurde die 5 Kilometer lange Straße im Jahre 1880. Vorher war sie ein kleiner Feldweg, der schlicht Straße 84 hieß. Lange Jahre hieß sie Kaiser-Friedrich-Straße, allerdings zunächst nur auf einem Teilabschnitt. Die Nazis tauften sie auf der gesamten Länge von Hermannplatz bis Baumschulenweg in Braunauer Straße um (nach dem Geburtsort Hitlers). Ihren heutigen Namen trägt sie erst seit 1947, wobei ein Teilstück bereits 1920 Sonnenallee genannt worden war.
Flaniermeile und Einkaufsstraße
Mit der einsetzenden Industrialisierung wurden in der Kaiser-Friedrich-Straße Mietshäuser, Schulen und Fabriken gebaut, darunter eine Klavierfabrik in der Nummer 241 und eine Nähmaschinenfabrik in der Nummer 227/22. Um die Jahrhundertwende wohnten hier vor allem Handwerker und kleine Beamte. Aus dem einstigen Feldweg war eine breite Straße mit Wirtshäusern und mehreren Straßenbahnlinien geworden. Der Mittelstreifen, wo heute Autos kreuz und quer parken, war eine von Bäumen gesäumte Flaniermeile. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Sonnenallee eine kurze Blütezeit als wichtigste Einkaufsstraße des Ostens. Mit dem Mauerbau wurde sie zur Sackgasse. 400 Meter der Sonnenallee gehörten fortan zu Ostberlin. Nur auf diesen Teil bezieht sich auch der berühmte Film „Sonnenallee“.
Vom Gazastreifen zur arabischen Straße mit einem Schuss Hipster
Es waren die vielen leerstehenden Läden mit günstigen Mieten, die ab den 1970er Jahren türkischstämmige Migrant*innen, zunehmend aber auch Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon hierher lockten. Sie eröffneten Cafés, Imbisse und Gemüsegeschäfte. „Gaza-Streifen“ wurde die Straße damals genannt. Mit dem Zuzug von syrischen Geflüchteten, aber auch Studierenden und Kreativen kam in den letzten Jahren neuer Schwung in die Sonnenallee. Vor allem zwischen Hermannplatz und Wildenbruchstraße tobt das Leben. Zwischen Shisha-Bars, Nüsschenröstereien und Reisebüros mit arabischen Schriftzeichen haben sich hippe Kneipen und ein Bio-Supermarkt gesellt. Und manchmal mischt sich Alt und Neu sogar in einem Laden. So wird beim alteingesessenen „Blumen Weyer“ seit einigen Jahren auch Coffee togo aus einem mobilen Tuktuk verkauft. „Ich nehme eine unglaublich große Vielfalt war“, sagt Ina Rathfelder, die im Rahmen des BIWAQ-Projekts Gewerbetreibende berät. „Hier kommt alles zusammen, was Neukölln ausmacht“, findet sie. Es sei ein friedliches Mit- und Nebeneinander. Auch Tourist*innen und internationale Expats tauchen gern in die besondere Atmosphäre ein. „Klar ist es manchmal auch stressig und voll“, räumt Ina Rathfelder ein.
Kampagne für eine offene und tolerante Sonnenallee
Manche alteingesessenen Neuköllner*innen fühlen sich hier nicht mehr sicher. Sie stören sich an den Menschenmassen, dem Müll und dem Chaos auf den Gehwegen. Dazu kommen die Schlagzeilen über Clankriminalität. Um etwas gegen die zunehmenden Angriffe gegen Schwule, Lesben und Transpersonen zu unternehmen, wurde kürzlich eine Kampagne gestartet. Die Initiative dazu kam von der Dar-As-Salam Moschee, auch BIWAQ und die Polizei sind mit im Boot. Viele Läden haben jetzt einen Aufkleber, mit dem sie sich gegen homophobe Gewalt wenden.