Eine Kirche für Leib und Seele
Seit über 110 Jahren fügt sich die Kirche in der Fuldastraße 48 in die Häuserzeile ein. „Wir wollen ein offenes Haus sein“, erklärt Pfarrer Alexander Pabst. Das Umfeld ist hier ein völlig anderes als in Spandau und Frohnau, wo er vorher tätig war. Statt einer kirchenverbundenen Bewohnerschaft, die sonntags in den Gottesdienst strömt, hat er es hier mit einem multikulturellen, wenig christlich geprägtem Umfeld zu tun. Der 41-Jährige findet das spannend. „Da muss man sich etwas einfallen lassen.“ Die Evangelische Martin-Luther-Gemeinde gilt als sehr liberal. Hier fand die erste Segnung eines homosexuellen Paares statt. Ein ungewöhnliches Altarbild symbolisiert diese Offenheit. Mit türkischen Gemüseläden, Graffiti und Punkerpärchen mit Hund hat es die Künstlerin Monika Sieveking als Spiegelbild der Neuköllner Gesellschaft entworfen.1984 wurde es der Gemeinde übergeben.
Für viele ein zweites Zuhause
Der Kirchenraum, wo das Altarbild steht, umfasste einst 1050 Plätze. Das braucht man heute natürlich nicht mehr. Durch Umbauten entstanden stattdessen mehrere Gemeinderäume, wo sich heute beispielsweise eine Malgruppe trifft. Es gibt ein öffentliches Kirchencafé, einen Fair Trade-Laden und demnächst soll im „Herr Käthe“ Vintage-Mode verkauft werden. Der Kiez habe sich in den letzten Jahren sehr verändert, sagt Alexander Pabst. Es sind viele besser verdienende Familien zugezogen. Doch trotz Gentrifizierung gibt es nach wie vor Armut. Jeden Mittwoch warten im Kirchenraum mehr als 100 Menschen auf die Lebensmittelausgabe von „Laib und Seele“. Beim Obdachlosen-Nachtcafé öffnet die Kirche in den Wintermonaten einmal pro Woche ihre Räume für eine Notübernachtung inklusive Abendessen und Frühstück. Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer*innen wäre all das nicht möglich. Es seien überwiegend Ältere, die sich hier engagieren, erzählt der Pfarrer. Für einige ist die Gemeinde fast so etwas wie ein zweites Zuhause. Ehrenamtlich organisiert ist auch der beliebte alljährliche Adventsbazar.
Backsteingotik statt Kuppelkirche
Die Grundsteinlegung 1908 fällt in eine Zeit, als Rixdorf rasant wuchs und immer mehr Mietskasernen aus dem Boden gestampft wurden. Die Evangelische Gemeinde „Deutsch-Rixdorf“ entwickelte sich zu einer riesigen Großstadtgemeinde. Längst platzte die Dorfkirche auf dem Richardplatz aus allen Nähten. Daher plante man ursprünglich eine prachtvolle Kuppelkirche auf dem Reuterplatz. Doch aufgrund von Schwierigkeiten beim Grundstückserwerb wurden stattdessen zwei kleinere, in die Häuserzeilen eingebaute Kirchen realisiert: die Martin-Luther-Kirche und die Nikodemus-Kirche. Beide wurden vom Architekten Fritz Gottlob gebaut, erstere im Stil der Neugotik. Im Januar 1944 wurde die Kirche bei einem Bombenangriff fast vollständig zerstört. Erst 1957 wurde sie - mit verkürztem Turm - nach dem Wiederaufbau erneut eingeweiht. Seitdem ist das Innere wesentlich sachlicher und nüchterner. Ab 1970 erfolgte ein weiterer Umbau, bei dem der Kirchenraum auf 350 Plätze verkleinert wurde.
Traumdisko mit DJ
Alexander Pabst ist heilfroh, dass nun auch die jüngste Sanierung (fast) abgeschlossen ist. Seit 2018 wurde unter anderem der Turm saniert und zwecks Schaffung von Barrierefreiheit der Fahrstuhl erweitert. Immerhin befindet sich neben einer Kita im Nebengebäude im dritten Stock der Kirche eine weitere Kita. „Inklusion ist uns sehr wichtig, wir freuen uns sehr, dass wir einmal im Quartal eine inklusive Tanzveranstaltung haben“, sagt der Pfarrer. Wenn die „Traumdisko“ samt DJ anrückt, geht es in der Kirche hoch her.
Demnächst wird die Martin-Luther-Gemeinde mit der Genezareth-Gemeinde am Herrfurthplatz fusionieren. Alexander Pabst sieht das rundum positiv: „Wir werden dann mehr Personal haben und können mehr Angebote machen, zum Beispiel für Kinder.“